„Es
kommt auch auf das Umfeld an.“
Mehrsprachigkeit im Kontext des sozialen Netzwerkes
Die folgenden Ausführungen basieren auf
Ergebnissen einer empirischen Studie, in der
hundert Mütter aus griechisch-deutschen Familien interviewt wurden:
griechische Mütter in Deutschland und deutsche Mütter in Griechenland -
die Mutter sprach also jeweils die "Nichtumgebungssprache".
Die
kindliche Entwicklung und Erziehung vollzieht sich nicht nur innerhalb
der Familie, sondern wird auch durch andere Menschen, z.B. Verwandte,
Freunde, Nachbarn, etc. beeinflusst. Sie stellen das soziale Netzwerk
einer Person, z.B. der Mutter oder des Kindes, dar. !!! Gemeint ist
hier und im Folgenden also das soziale Netzwerk im soziologischen
Sinne, bestehend aus persönlichen Kontakten eines Menschen.
Folgende Eigenschaften
sozialer Netzwerke sind für den Verlauf mehrsprachiger Entwicklung und
Erziehung bedeutsam:
Sprachliche
Zusammensetzung des Netzwerkes
Der Erwerb der Umgebungssprache verläuft
meist problemlos, weil genügend sprachliche Vorbilder und Möglichkeiten
der Verwendung dieser Sprache im sozialen Umfeld, in den Medien, im
Kindergarten etc. vorhanden sind. Der Erwerb der Nichtumgebungssprache
kann dagegen mit Schwierigkeiten verbunden sein, weil sie im Umfeld des
Kindes nicht selbstverständlich präsent ist. Daher spielen
Personen, die diese Sprache sprechen, eine wichtige Rolle in der
Sprachentwicklung eines Kindes. Sie bieten außerhalb der
Familie sprachliche Vorbilder und Möglichkeiten, die Sprache zu hören
und zu gebrauchen. Die Nichtumgebungssprache bekommt so einen größeren
Stellenwert für das Kind. Es erkennt, dass nicht nur seine Mutter oder
/ und sein Vater diese Sprache spricht. Dies spiegelt sich auch in
einer geringeren Quote von Verweigerungen des Gebrauchs der
Nichtumgebungssprache bei Kindern mit vergleichsweise vielen Kontakten
zu Nichtumgebungssprachlern (60%) im Vergleich zu solchen mit wenigen
Kontakten (92%).
Mehrsprachige Entwicklung
Die sprachliche
Zusammensetzung des sozialen Netzwerkes beeinflusst auch die Eltern.
Ihnen fällt es in einem Netzwerk, in dem ein Großteil der Personen nur
die Umgebungssprache versteht, oftmals schwer, konsequent in ihrem
Spracherziehungsverhalten zu bleiben: Viele Menschen empfinden es als
unhöflich, wenn eine Sprache gesprochen wird, die sie nicht verstehen
(egal, ob das gesagte sie betrifft oder nicht). In ihrer Gegenwart
wechseln daher viele Eltern (hier: 64%) auch im Gespräch mit ihrem Kind
in die Sprache der Umgebung:
Eine deutsche Mutter in Athen:
„Die Spracherziehung sollte konsequent sein, aber bei uns war das nicht
immer so. Das ganze Umfeld war griechisch, so dass ich oft mit den
Kindern griechisch gesprochen habe, damit sich die anderen nicht
ausgeschlossen fühlten. Es ist eine Gratwanderung zwischen Höflichkeit
und Konsequenz.“
In Gegenwart
von Personen, die selbst die Nichtumgebungssprache sprechen, ist ihre
Verwendung dagegen ganz natürlich und selbstverständlich. Durch einen
hohen Anteil an Nichtumgebungssprachlern im Netzwerk wird deshalb ein
konsequentes Spracherziehungsverhalten und die allgemeine Zufriedenheit
mit dem Verlauf der mehrsprachigen Entwicklung und Erziehung
unterstützt (hier: 40% Konsequenz und 64% Zufriedenheit bei hohem, 12%
Konsequenz und 29% Zufriedenheit bei niedrigem Anteil).
Mehrsprachige Erziehung
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Möglichkeiten des Austausches und der Beratung
Auch
Kontakte zu Personen, die selbst Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit haben
– sei es, weil sie selbst mehrsprachig sind, oder weil sie auch in
einer gemischtsprachigen Ehe leben – wirken sich auf das
Spracherziehungsverhalten und die allgemeine Zufriedenheit mit der
sprachlichen Situation positiv aus (hier: 54% Konsequenz und 73%
Zufriedenheit bei hohem, 40% Konsequenz und 17% Zufriedenheit bei
niedrigem Anteil). In ihrer Gegenwart wird Sprachenvielfalt als
Normalität erlebt, werden Spracherziehungsmodelle, Ratschläge und
Informationen geboten und generell das Gefühl vermittelt, dass
schwierige Phasen des mehrsprachigen Entwicklungs- und
Erziehungsprozesses keine Ausnahme darstellen.
Eine deutsche Mutter in Athen:
„Austausch mit Bekannten, die selbst Erfahrung mit Zweisprachigkeit
haben, ist sehr wichtig. Es tröstet einen in schweren Stunden.“
Eine griechische Mutter in München:
„Mit 2;5 Jahren antwortete sie oft auf Deutsch. Wir hatten Zweifel,
haben dann aber beschlossen, konsequent zu bleiben. Dabei halfen auch
Gespräche mit einer Freundin, die selbst Erfahrung hatte.“
Kontakte
& Austausch
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Einstellungen sozialer Netzwerke gegenüber
Mehrsprachigkeit
Einstellungen des
sozialen Netzwerkes gegenüber Mehrsprachigkeit haben einen Einfluss auf
die Zufriedenheit der Eltern mit der mehrsprachigen Situation. Ein
hoher Anteil an positiv eingestellten Personen im Netzwerk erhöht die
Wahrscheinlichkeit, dass die betroffenen Eltern insgesamt zufrieden mit
dem Verlauf der mehrsprachigen Entwicklung und Erziehung sind (hier:
67%; dagegen 32% mit niedrigem Anteil).
Die Einstellungen, die
in einem sozialen Netzwerk herrschen, scheinen vom Prestige der
Nichtumgebungssprache nur in geringem Maße beeinflusst. Unterschiede,
die sich auf Länderebene nachweisen lassen – deutsche Mütter in
Griechenland erleben überwiegend eine Wertschätzung gegenüber der
Nichtumgebungssprache deutsch, während Griechinnen in Deutschland
gegenüber dem Griechischen eher eine ablehnende Haltung erfahren (Mehrsprachigkeit ist... )
– finden sich in einem Vergleich der sozialen Netzwerke in Griechenland
vs. Deutschland kaum wieder. Dies deutet u.a. erstens darauf hin, dass
die betroffenen Eltern bewusst Kontakt zu positiv eingestellten
Personen suchen, und zweitens, dass sie die Personen, die sich per
Rolle im Netzwerk befinden (z.B. Verwandte) indirekt oder direkt
beeinflussen: Soziale Netzwerke sind veränderbar.
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Die
Veränderbarkeit sozialer Netzwerke
Soziale Netzwerke
bestehen (zumindest in modernen Gesellschaften) nur zum Teil aus
sozialen Beziehungen, die durch Rollen festgeschrieben sind – z.B.
Verwandte, Nachbarn. Andere – z.B. Ehepartner, Freunde, Bekannte –
werden in das Netzwerk einer Person durch diese selbst hinein gewählt.
Somit sind soziale Netzwerke keine feststehende Konstrukte. Menschen
sind nicht passiv in sie eingebettet, sondern haben die Möglichkeit,
diese zumindest teilweise selbst zu gestalten.
Zudem sind soziale Netzwerke beeinflussbar:
Indem Personen in Kontakt mit mehrsprachigen Familien stehen, machen
sie persönliche Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit und erleben diese als
etwas Selbstverständliches. Eventuell vorhandene Vorurteile bauen sich
ab.
Empfehlungen für Eltern
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