Information – Fortbildung – Netzwerk
zur frühkindlichen Zwei- und Mehrsprachigkeit


 Home     Kontakt     Fortbildung     Impressum 

Information

„Mehrsprachigkeit?
Was ist das eigentlich?“

Mehrsprachigkeit ist...

"Machst Du mir
die τσάντα zu?"
Sprachen in Kontakt

"Ich will deine
doofe Sprache nicht!"

Mehrsprachige Entwicklung

"Man kann nicht
immer konsequent sein."
Mehrsprachige Erziehung

"Es kommt auch
auf das Umfeld an."

Mehrsprachigkeit im sozialen Kontext

"Ein zweisprachiger Kindergarten
wäre optimal!"

Mehrsprachigkeit im Bildungssystem

"Mehrsprachigkeit finde ich gut, aber..."
Einstellungen pädagogischer Fachkräfte





Fortbildung







Netzwerk


Kontakte & Austausch
- leider z.Zt. deaktiviert -





 

linie

 

 


„Ein zweisprachiger Kindergarten wäre optimal!“
Mehrsprachigkeit im Bildungssystem


Die folgenden Ausführungen basieren auf Ergebnissen einer empirischen Studie, in der hundert Mütter aus griechisch-deutschen Familien interviewt wurden: griechische Mütter in Deutschland und deutsche Mütter in Griechenland - die Mutter sprach also jeweils die "Nichtumgebungssprache".

Innerhalb mehrsprachiger Entwicklungs- und Erziehungsprozesse stellt ein an Einsprachigkeit orientiertes Bildungssystem, welches kaum Möglichkeiten nichtumgebungssprachiger Förderung bietet, eines der größten Probleme dar. Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Europaschulen und vereinzelte zweisprachige Kindergärten) konzentriert sich die institutionelle Förderung in Deutschland auf die deutsche Sprache und zusätzlich auf solche Sprachen, denen ein hohes Prestige zugeschrieben wird, z.B. Englisch und Französisch. Griechisch-deutsche, türkisch-deutsche, polnisch-deutsche ... Einrichtungen sind dagegen eine Seltenheit. Der Eintritt eines mehrsprachig aufwachsenden Kindes in einen einsprachigen Kindergarten wirkt sich nachhaltig auf

aus. Die bildungspolitische Konsequenz daraus müsste eine stärkere Orientierung des Bildungssystems an Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit sein. Damit ist zum Einen gemeint, dass Sprachenvielfalt - Mehrsprachigkeit - in Kindertagesstätten und Schulen als Normalität wahr- und angenommen wird. Darüber hinaus aber müsste es mehr Möglichkeiten geben, dass die konkreten Sprachen eines Kindes im Bildungssystem Unterstützung erfahren, dass es also mehr zweisprachige Einrichtungen gäbe.

top

linielinie


Mehrsprachige Entwicklung

Die sprachlichen Fähigkeiten, die ein Kind in seinen ersten Lebensjahren erworben hat, werden im Kindergarten in Kommunikation mit Kindern und Erzieher/innen und durch Spiele, Lieder, Bücher etc. weiterentwickelt und ausdifferenziert. Sprachliche Bildung im Kindergarten, die an den bereits erworbenen Sprachfähigkeiten anknüpft, ist für zwei- bzw. mehrsprachige Kinder nicht selbstverständlich. Für sie stehen meist nur einsprachige Einrichtungen zur Verfügung, in denen nur ein Teil ihrer bis dahin erworbenen sprachlichen Mittel gefördert wird, nämlich die umgebungssprachlichen. Die weitere sprachliche Entwicklung des Kindes hängt somit von ihm selbst, seinen Eltern und sozialen Netzwerken ab.
Mehrsprachigkeit im sozialen Kontext

Der Eintritt in den einsprachigen Kindergarten ist für viele mehrsprachige Kinder mit der Empfindung verbunden, dass außerhalb der Familie nur die Umgebungssprache gefragt und wichtig ist. Dies führt in vielen Fällen dazu, dass Kinder den Gebrauch von Nichtumgebungssprachen gegenüber ihren Eltern verweigern (hier: 84% in einsprachigen, dagegen 58% in zweisprachigen Einrichtungen). Sie erkennen keine Notwendigkeit und keinen Sinn, eine Sprache zu sprechen die – nach ihrer Wahrnehmung – sonst keiner spricht.

Eine deutsche Mutter in Thessaloniki:
„Bei Eintritt in den Kindergarten fing es an, dass er mir auf Griechisch antwortete. Da hatte er auch nur noch ein griechisches Umfeld. Vorher hatte er nur deutsch gesprochen.“

Eine griechische Mutter in München:
„Mit Eintritt in den Kindergarten fing das an, dass er auf Deutsch antwortete und fast nur deutsch sprach.“

In einer zweisprachigen Kindertagesstätte dagegen werden beide Sprachen des Kindes gleichberechtigt gefördert. Kinder (und Eltern) erleben hier die Verwendung beider Sprachen als etwas Natürliches und Selbstverständliches, und das ist für die mehrsprachige Entwicklung von großer Bedeutung.

top

linielinie


Mehrsprachige Erziehung

Indem die Dominanz der Umgebungssprache im einsprachigen Kindergarten die Verweigerung der Nichtumgebungssprache durch das Kind hervorruft, beeinflusst sie indirekt auch das Erziehungsverhalten der Eltern:

Eine griechische Mutter in Berlin:
„Am Anfang habe ich nur griechisch gesprochen. Das hat sich geändert, als er in den Kindergarten gekommen ist. Da hat er nur die deutsche Sprache gehört, und je mehr er die sprach, desto schwieriger wurde es für mich, griechisch mit ihm zu sprechen. Er hörte ja alles auf Deutsch. Als er dann zur Schule kam, habe ich ganz mit dem Griechisch aufgehört.“

Die sprachliche Ausrichtung des Kindergartens hat auch einen direkten Einfluss auf das Spracherziehungsverhalten der Eltern. Die häufig skeptische Haltung gegenüber Mehrsprachigkeit von Erzieher/innen und Eltern in einsprachigen Einrichtungen stellt ein großes Problem für mehrsprachige Familien dar:

Eine griechische Mutter in Berlin:
„Am Anfang habe ich konsequent griechisch gesprochen, bis er mit 3 Jahren in den Kindergarten kam. Der Kindergarten war das Problem. Es war nicht gern angesehen, und das hat mich ins Schwanken gebracht. Sofort, wenn was war – z.B. hat er Lieder oft nur mitgesprochen, ohne Melodie –, kam die Frage von den Erzieherinnen, ob das nicht an der Zweisprachigkeit läge. Auch andere Mütter haben zu ihm gesagt: Du musst deutsch sprechen! Das war das Jahr, als ich, wenn ich mit denen zusammen war, immer deutsch gesprochen habe. Die Kinder wurden dabei immer verwirrter.“

Derartige Erfahrungsberichte sind keine Seltenheit. Noch immer raten (einsprachige) Erzieher/innen und Lehrer/innen Eltern häufig, mit ihrem Kind „nur Deutsch“ zu sprechen, ohne die Folgen für Mutter und Kind zu bedenken. Beratung, die auf fachlichem Wissen über frühkindliche Mehrsprachigkeit basiert und sich zudem an der individuellen Situation der jeweiligen Familie orientiert, scheint nach wie vor nicht selbstverständlich zu sein.

In zweisprachigen Einrichtungen gilt gerade die Zweisprachigkeit als Erziehungsziel. Daher erhalten die betreffenden Eltern hier selbstverständlich Unterstützung. Meist hat das pädagogische Personal sowohl fachliche als auch auf Erfahrung basierende Qualifikationen, auf deren Grundlage sie fachkompetente Beratung bieten können. Ein weiterer positiver Effekt von zweisprachigen Einrichtungen ist der Kontakt, der zu anderen mehrsprachigen Familien hergestellt wird, und der zumeist als große Unterstützung empfunden wird.
Mehrsprachigkeit im sozialen Kontext


Insgesamt zeigt sich, dass der selbstverständliche Umgang mit den Sprachen in zweisprachigen Kindergärten sowohl ein konsequentes Erziehungsverhalten unterstützt (hier: 53% Konsequenz in zweisprachigen, 16% in einsprachigen Einrichtungen), als auch die Zufriedenheit der Eltern mit dem gesamten Prozess der mehrsprachigen Entwicklung und Erziehung ihrer Kinder (hier: 90% sehr zufriedene Mütter in zweisprachigen Einrichtungen, 43% in einsprachigen). Entsprechend wünscht sich die überwiegende Mehrheit zweisprachig erziehender Eltern zweisprachige Kindergärten: In der hier zitierten Studie erachten 65% der befragten Mütter die Möglichkeit, ihr Kind in einen zweisprachigen Kindergarten schicken zu können, als sehr wichtig, 17% als ziemlich wichtig und nur 5% als nicht wichtig. Zufrieden sind mit dem Angebot zweisprachiger Einrichtungen dagegen nur 20%. 81% der Mütter, deren Kinder einen einsprachigen Kindergarten besuchen, würden ihr Kind lieber in einen zweisprachigen Kindergarten schicken, können dies aus Mangel an derartigen Einrichtungen jedoch nicht.

top

linielinie


Bildungspolitische Konsequenzen

Aus den dargestellten Zusammenhängen ergeben sich folgende Forderungen an Bildungspolitik und Wissenschaft:

  • Initiierung und Unterstützung von Forschungen in Bereich Mehrsprachigkeit
     

  • Unterstützung der wissenschaftlichen Entwicklung und Erprobung von Konzepten für zweisprachige Kindergärten und Schulen
     

  • Erhöhung des Angebotes an zweisprachigen Einrichtungen
     

  • Bereitstellung von Beratungsmöglichkeiten zu Mehrsprachigkeit
     

  • Förderung eines unterstützenden Umgangs mit Mehrsprachigkeit auch in einsprachigen Einrichtungen
    Empfehlungen für pädagogische Fachkräfte
    Einstellungen pädagogischer Fachkräfte

  • Integration der Thematik in die Ausbildung von pädagogischen und medizinischen Fachkräften
     

  • Vermittlung von Grundlagen individuumszentrierter Beratung in pädagogischer Ausbildung

    top

    linielinie