Empfehlungen für pädagogische Fachkräfte
Die Aufgabe der Kindertagesstätte
ist es, Kinder in ihrer gesamten Entwicklung zu fördern, und Eltern in
Entwicklungs- und Erziehungsfragen zu beraten. In zweisprachigen
Einrichtungen kann besonders gezielt auf die Bedürfnisse zweisprachiger
Kinder und ihrer Eltern eingegangen werden (
Mehrsprachigkeit im
Bildungssystem). Leider gibt es davon nur wenige, sodass die
meisten zweisprachigen Kinder einsprachig ausgerichtete Kitas besuchen.
Wie können aber mehrsprachige
Entwicklungs- und Erziehungsprozesse in einsprachigen Einrichtungen
unterstützt werden? Pädagogen und Pädagoginnen sind oft der Meinung,
dass sie nicht viel tun können: Die Gruppen sind zu groß, der Anteil
nicht-deutschsprachiger Kinder zu hoch, und es sind zu viele Sprachen
vertreten – die können schließlich nicht alle gelernt und gefördert
werden. Das sind sicherlich berechtigte Einwände. Sie ändern aber
nichts daran, dass gerade einsprachige pädagogische Fachkräfte einen
großen Einfluss auf die mehrsprachige Entwicklung der Kinder haben: Für
diese ist der Eintritt in einen einsprachigen Kindergarten meist mit
der Empfindung verbunden, dass außerhalb der Familie nur die
Umgebungssprache – also Deutsch in Deutschland – wichtig und gefragt
ist. Vom Umgang der Pädagogen und Pädagoginnen mit den
Nichtumgebungssprachen kann es abhängen, ob Kinder diese weiterhin
verwenden, oder mit der Zeit ihren Gebrauch verweigern (
Mehrsprachige
Entwicklung;
Einstellungen pädagogischer Fachkräfte).
Ihr Rat kann Eltern in ihrer mehrsprachigen Erziehung stärken, aber
auch zutiefst verunsichern (
Mehrsprachige Erziehung).
Es geht hier weniger darum,
außergewöhnliche Anstrengungen zu unternehmen, als vielmehr um die
innere Einstellung zu Mehrsprachigkeit: Nehmen Sie die Mehrsprachigkeit
in Ihrer Einrichtung als Bereicherung an, auch, wenn die tatsächlich
oft ungünstigen Rahmenbedingungen dies erschweren. Eine positive
Haltung sollte von dem Bewusstsein geprägt sein, dass mehrsprachig
aufwachsende Kinder all ihre Sprachen brauchen,
-
um mit ihren
nicht-deutschsprachigen Eltern wie von Geburt an gewohnt kommunizieren
zu können
-
um sich auf allen Ebenen
kontinuierlich weiterentwickeln zu können – so, wie einsprachige
Kinder, deren sprachliche – und damit auch emotionale, soziale,
kognitive – Entwicklung selbstverständlich in der Kindertagesstätte
weitergeführt wird.
-
um in ihrer mehrsprachigen
Lebenswelt handlungsfähig sein zu können.
Die Beratung der Eltern sollte auf
der Überzeugung beruhen, dass
-
nur die Eltern selbst
entscheiden können, welche Sprache sie mit ihrem Kind sprechen möchten
und können,
-
es für Eltern schwierig ist, in
einer ihnen selbst nicht hundertprozentig vertrauten Sprache eine tiefe
Bindung zu ihrem Kind aufzubauen und ihm „die Welt zu erklären“.
Die zentrale Empfehlung lautet
daher, in der Kindertagesstätte eine Atmosphäre zu schaffen, in der
Kinder Mehrsprachigkeit als etwas Normales und Wertvolles erleben, und
Eltern in ihrer Spracherziehung unterstützt werden. Im Einzelnen:
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Fördern
Sie die Umgebungssprache auf der Grundlage kindlicher
Spracherwerbsprozesse
Kinder erwerben Sprache durch
Imitation und Verstärkung, unbewusst-intuitiv, ganzheitlich, in
Interaktion und konkreter Handlung. An diesen Prinzipien muss
sprachliche Bildung ansetzten, um Kinder wirklich zu erreichen und sie
in ihrer Entwicklung zu unterstützen – das gilt für ein- und
mehrsprachig aufwachsende Kinder gleichermaßen. Sie als Erzieher/in
sollten daher...
-
ein positives sprachliches
Vorbild sein
-
viele Gespräche mit den Kindern
führen
-
Sprache als festen Bestandteil
im Alltag etablieren
-
Kinder beobachten
-
Eltern beraten
Zum kindlichen Spracherwerbsprozess
und zu sprachlicher Bildung s. ausführlich:
www.sprachfoerderung.info.
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Beziehen
Sie die Nichtumgebungssprachen so oft wie möglich in den
Kindergartenalltag ein
Bei
Eintritt in den deutschen Kindergarten machen mehrsprachige Kinder die
Erfahrung, dass nur ein Teil ihrer sprachlichen Mittel hier gefragt
sind – die umgebungssprachlichen. Es gibt kaum Möglichkeiten, die
Nichtumgebungssprache zu verwenden. Sie kann gar zum Merkmal werden,
welches das mehrsprachige Kind als „anders“ erscheinen lässt – bereits
Kinder im jungen Alter sind hier hochsensibel. Daher sind die Präsenz
und die damit verbundene Wertschätzung der Nichtumgebungssprachen von
großer Bedeutung sowohl für die Sprachentwicklung und das
Selbstwertgefühl der mehrsprachigen, als auch für die Entwicklung von
Akzeptanz der einsprachigen Kinder. Es gibt viele Möglichkeiten, die
unterschiedlichen Sprachen der Kinder Ihrer Gruppe in den Alltag zu
integrieren:
-
Stellen sie (wenn möglich)
bewusst nichtumgebungssprachige Erzieher/innen ein. Wichtig sind hier
klare Absprachen: Welche Rolle spielen diese Mitarbeiter/innen in der
Sprachbildung der Kinder – welche Sprache sollten sie mit den Kindern
sprechen?
-
Versuchen
Sie (gemeinsam mit den Kindern der Gruppe), von den mehrsprachigen
Kindern spielerisch einige griechische, türkische, polnische... Worte
zu lernen, z.B., indem jeden Tag in einer anderen Sprache „Guten
Morgen“ oder „Guten Appetit“ gesagt wird, die Farbbezeichnungen bei
Spielen in allen Sprachen genannt werden etc. Für mehrsprachige Kinder
sind derartige Bemühungen Ihrerseits mit der wichtigen Erfahrung
verbunden: „Ich kann etwas besonderes, andere können und wollen etwas
von mir lernen.“
-
Laden Sie andere
Nichtumgebungssprachler z.B. für Vorlesestunden in die KiTa ein.
Spielen Sie Musik oder Hörspiele der Kinder in den Sprachen ab. Gehen
Sie in einen griechischen Supermarkt. Üben Sie mehrsprachige Lieder
ein...
Von derartigen Bemühungen
profitieren neben den mehrsprachigen Kindern, die so auch im
einsprachigen Kindergarten Gelegenheit haben, ihre Sprache zu hören und
zu verwenden auch die einsprachigen Kinder. Sie entwickeln ein
Interesse für fremde Sprachen: Wie hört sich das an? Wie klingt die
Sprachmelodie? Wie spricht man das aus? Was heißt das wohl? Wecken Sie
die Neugier und Lust der Kinder auf Sprachen!
Achten Sie jedoch darauf, die
mehrsprachigen Kinder dabei nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen
– sie nicht zu "Exoten" zu machen – sonst rufen Ihre Bemühungen genau
das hervor, was sie zu verhindern suchten: Das negative Empfinden,
anders zu sein als die anderen.
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Lassen
Sie Kommunikation der Kinder in ihren nicht-deutschen Sprachen zu
Für griechisch (türkisch /
polnisch...) -sprachige Kinder sind Kontakte zu anderen griechischen
(türkischen / polnischen ...) Kindern im deutschen Kindergarten ein
Glücksfall: Durch sie ergibt sich die Möglichkeit, auch die
Nichtumgebungssprache im Kindergarten zu verwenden, so, wie sie es von
Geburt an gewohnt sind. Dadurch können die Kinder ihre sprachlichen
Fähigkeiten in der Nichtumgebungssprache weiterentwickeln und
ausdifferenzieren. Die Dominanz der deutschen Sprache wird abgemildert.
Verbieten Sie deshalb den Kindern nicht, untereinander in ihren
Nichtumgebungssprachen zu sprechen. Lassen Sie sich auch nicht dadurch
verunsichern, dass Sie nicht alles verstehen, was die Kinder
untereinander sprechen. Es ist sowieso unmöglich – und auch überhaupt
nicht notwendig! –, dass Sie alles, was in der Gruppe gesprochen wird,
mitbekommen.
Haben Sie den Eindruck, dass
andere Kinder vom Spiel ausgeschlossen werden, weil sie die jeweilige
Sprache nicht verstehen, sprechen Sie mit allen Kindern darüber.
Entwickeln Sie gemeinsam mit den Kindern klare Regeln, wann welche
Sprache verwendet wird. Achten Sie dabei darauf, zu keinem Zeitpunkt
die Nichtumgebungssprachen als unwichtig darzustellen.
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Äußern
Sie niemals (sinngemäß):
„Diese Sprache wollen wir hier aber nicht hören!“
Derartige Äußerungen drücken das
Gegenteil von Wertschätzung aus, nämlich: Deine Sprache ist nicht nur
nicht wichtig, sondern wird abgelehnt. Dies würde einen empfindlichen
und u.U. irreparablen Einschnitt in die zweisprachige und damit auch in
die emotionale, soziale und kognitive Entwicklung des Kindes bedeuten.
Einstellungen pädagogischer Fachkräfte
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Beraten
Sie Eltern unter Berücksichtigung ihrer individuellen Situation
Eltern, die sich mit
Erziehungsfragen an Sie wenden, suchen Informationen. Oft sind sie
verunsichert und haben das Vertrauen, von Ihnen einen fachlichen Rat zu
bekommen. Berücksichtigen Sie Prinzipien einer nicht-direktiven
Beratung. Diese basiert auf der Überzeugung, dass prinzipiell jeder
Mensch selbst am besten weiß, was für ihn gut ist. Unterstützen Sie die
Eltern darin, herauszufinden, welcher Weg der Spracherziehung für sie
der richtige ist. Machen Sie ihnen bewusst, dass letztendlich sie
selbst entscheiden müssen, wie sie die sprachliche Erziehung ihres
Kindes gestalten möchten, und auch selbst für die Umsetzung
verantwortlich sind. Sie können sich dabei an den Empfehlungen für Eltern
orientieren.
Geben Sie niemals pauschale oder
bevormundende Ratschläge, sondern setzen Sie sich mit der individuellen
Situation der jeweiligen Familie auseinander. Das heißt auch:
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Raten
Sie niemals:
„Sprechen Sie mit Ihrem Kind Deutsch!“, ohne die Wünsche und
Sprachkenntnisse der Eltern zu kennen
Dieser Ratschlag kann durchaus gut
gemeint sein: Zugrunde liegt die Vorstellung, dass ein Kind die
Umgebungssprache umso besser lernt, je öfter es diese hört, was im
Umkehrschluss bedeuten würde, dass es andere Sprachen umso weniger
häufig hören sollte.
Dies ist jedoch ein Trugschluss:
Ein Kind vollzieht seine ersten Erfahrungen, Bindungen und
Entwicklungsschritte in der Muttersprache. Die gesamte emotionale,
soziale und kognitive Entwicklung des Kindes ist unmittelbar mit
seiner/n Muttersprache/n verbunden. Ein plötzliches Wegfallen der
Muttersprache/n würde somit einen nachhaltigen Einschnitt in die
kontinuierliche Weiterentwicklung des Kindes bedeuten.
www.sprachfoerderung.info
Zudem sollten Sie bedenken, dass
eine Mutter / ein Vater am besten in ihrer Muttersprache eine tiefe
emotionale Bindung mit ihrem Kind eingehen und ihm die Welt erklären
können. Stellen Sie sich vor, sie lebten seit einigen Jahren in
Frankreich – würden Sie mit Ihrem Kind wirklich (vermutlich
gebrochenes) Französisch sprechen???
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Unterstützen Sie Eltern in der Fortführung
der mehrsprachigen Erziehung
Raten Sie nicht-deutschsprachigen
Eltern (sinngemäß):
Sprechen Sie mit Ihrem Kind Ihre
Muttersprache, wenn das die Sprache ist, die Sie am liebsten und am
besten sprechen...
-
...weil Sie es selbst als
unnatürlich empfinden werden, mit Ihrem Kind plötzlich eine andere als
Ihre eigene Muttersprache zu sprechen.
-
...weil Sie es wahrscheinlich
später bedauern werden, wenn Ihr Kind Ihre Muttersprache schlecht oder
gar nicht spricht.
-
...weil Ihr Kind seine
Muttersprache/n für eine kontinuierliche sprachliche, emotionale,
soziale, kognitive Weiterentwicklung braucht.
-
...weil Ihr Kind die
einzigartige Chance hat, spielerisch zwei Sprachen zu erwerben.
-
...weil Ihr Kind beide Sprachen
in seiner zweisprachigen Lebenswelt braucht.
- ! Aber setzen Sie sich und Ihr Kind dabei nicht unter
Druck: Mehrsprachigkeit lässt sich nicht innerhalb starrer Regeln leben!
Vermitteln Sie – wenn möglich –
Kontakte zu anderen mehrsprachig erziehenden Eltern.
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Klären
Sie über Mehrsprachigkeit auf
Versuchen Sie, Vorurteile von
Kindern und Eltern abzubauen, indem Sie über Mehrsprachigkeit und die
Bedeutung der Muttersprache für die Gesamtentwicklung des Kindes
informieren. Regen Sie einen Austausch zwischen ein- und mehrsprachigen
Familien an, z.B. auf Elternabenden, bei Festen. Vermitteln Sie allen
Kindern und Eltern Interesse und Akzeptanz gegenüber Sprachenvielfalt.
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Bilden
Sie sich fort
Die Basis für einen sensiblen
Umgang mit Mehrsprachigkeit ist Wissen über Prozesse mehrsprachiger
Entwicklung und Erziehung. Leider wird dieses nicht selbstverständlich
in der Erzieher/innenausbildung vermittelt. Eignen Sie sich dennoch ein
Grundwissen an – es wird Ihnen Sicherheit im Umgang mit
Zweisprachigkeit geben und Sie in Ihrer alltäglichen Arbeit langfristig
entlasten.
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Vieles finden Sie in den
Rubriken dieser Seite und unter www.sprachfoerderung.info.
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Informieren Sie sich zusätzlich
durch Literatur über Mehrsprachigkeit und
Sprachliche Bildung.
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Reflektieren Sie ihre eigenen
Einstellungen zu Mehrsprachigkeit; machen Sie diese zum Thema im Team.
Folgender Fragebogen kann dazu ein leitfaden sein.
Einstellungen pädagogischer Fachkräfte
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Besuchen Sie, soweit Ihnen dies
möglich ist, Fortbildungsveranstaltungen
Angebote
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Tauschen sie Ihre Erfahrungen
und Meinungen zum Thema mit anderen Erzieher/innen aus.
Kontakte & Austausch
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