„Machst Du mir die τσάντα
zu?“
Sprachen in Kontakt
Die folgenden Beispiele stammen von
griechisch-deutsch aufwachsenden Kindern eines zweisprachigen
Kindergartens in Griechenland (Leist).
Es ist ein verbreitetes Vorurteil, dass mehrsprachig
aufwachsende Kinder keine Sprache richtig lernen, und daher ihre
Sprachen miteinander vermischen. Und in der Tat scheint es auf den
ersten Blick zahlreiche Belege für dieses Vorurteil zu geben, man
braucht diesen Kindern nur eine Zeitlang zuzuhören...
Analysiert man jedoch die Umstände und Prozesse, die zu
ihren gemischtsprachigen Äußerungen führen, stellt man bald fest,
vorschnell geurteilt zu haben. Mit den folgenden Ausführungen soll für
die Wahrnehmung dieser Zusammenhänge und Prozesse sensibilisiert werden.
Für die Analyse des Umgangs Mehrsprachiger mit ihren Sprachen können
die Konzepte
verwendet werden. Diese ursprünglich eher sprachzentrierten
Konzepte wurden von den verschiedenen, sich mit Mehrsprachigkeit
beschäftigenden Disziplinen (Pädagogik, Psychologie, Anthropologie
etc.) übernommen und um eine prozess- und individuumszentrierte
Komponente erweitert: So interessiert in den Analysen neben der
eigentlichen Äußerung des mehrsprachigen Kindes vor allem der Kontext
und der Prozess, der zu dieser Äußerung geführt hat, sowie die
Funktion, die diese in der jeweiligen Situation erfüllt. Die Konzepte
codeswitching, Sprachmischung und Interferenz werden im Folgenden
anhand einiger Beispiele von griechisch-deutschsprachigen Kindern
veranschaulicht.
top

Codeswitching bezeichnet das funktionale Umschalten von einer
Sprache in die andere innerhalb einer Äußerung, mit dem Ziel,
verstanden zu werden. Auslöser können sprachinterne und
außersprachliche Faktoren sein. Eine sprachinterne Ursache ist das
Fehlen von Begriffen in der gerade gesprochenen Sprache:
Stef (4;5) spielt in der Küche und „backt“ dort
griechische Süßigkeiten (γλυκά) für die es in Deutschland, und somit
auch in der deutschen Sprache keine Entsprechung gibt. Er sagt: „Wir
haben gemacht γλυκά!“
Stef setzt hier in den deutschen Satz das griechische Wort
γλυκά ein, das wörtlich übersetzt "Süßes" bedeutet. Der Begriff "Süßes"
ist aber hier zu allgemein, denn Stef möchte ausdrücken, dass es sich
um eine bestimmte Art von Süßigkeiten handelt (die es in Deutschland
nicht gibt und infolge dessen auch nicht mit einem deutschen Wort
bezeichnet werden kann), und dies kann er nur mit dem Wort γλυκά. Das
Umschalten in die griechische Sprache hat also hier die Funktion des
Sich-präzise-Ausdrückens.
Eine außersprachliche Ursache für das codeswitching ist die Anwesenheit
verschiedensprachiger bzw. einsprachiger Personen. In dem Bestreben,
wirklich von allen gehört und verstanden zu werden, fügen mehrsprachige
Kinder ihrer Äußerung häufig eine Übersetzung an:
Die Kindergartenkinder warten auf den
Kuchenverkaufstand der Schulkinder. Mar (5,3) hat Schulkinder mit
Kuchenplatten gesehen und ruft aufgeregt in den Gruppenraum: „Έρχεται!
Kommt!“
Chri (6;1) zu Stef (4;8) (beide griechisch-deutschsprachig)
während eines Spiels: „Όχι!! Nein!!“
Dass der Sprachgebrauch anderer Personen die Kinder zu einem
Sprachwechsel veranlassen kann, zeigen die folgenden Beispiele. Auch
hier ist die Funktion des Umschaltens das Ziel, verstanden zu werden.
Es zeigt sich außerdem ein sensibles Eingehen auf die sprachlichen
Bedürfnisse des Gesprächspartners, nach denen die Kinder sich richten:
Pol: (4;0): „Πάμε στην εκκλησία!“ („Wir gehen
zur Kirche!“)
An: „Τί;“ („Was?“)
Pol: „Πάμε στην εκκλησία!“
An: „Was?“
Pol: „Wir gehen zur Kirche!“
Mar (5;3): „Εγώ είμαι η αστυνομία!“
An: „Was?“
Mar: „Ich bin die Polizei!“
Ein funktionales Umschalten zwischen den Sprachen ist auch in
Situationen zu beobachten, in denen die Kinder meinen, das andere
(zweisprachige!) Kind versteht sie in der anderen Sprache besser. Im
folgenden Beispiel soll Pol (4;0) während eines Kreisspieles Sof (5;5)
etwas in Ohr flüstern, flüstert aber in eine andere Richtung. Sof
versucht zunächst, Pol durch mehrmaliges Wiederholen der Anweisung auf
Deutsch auf ihren Fehler hinzuweisen, und schaltet schließlich ins
Griechische um:
Sof: „Ins Ohr!“
Pol: flüstert in woanders hin
Sof: „Ins Ohr!“
Pol: flüstert in woanders hin
Sof (laut, ungeduldig): „Στο αυτί μου!!“ („In mein Ohr!!“)
Weitere außersprachliche Ursachen für codeswitching sind
Themen, die eng mit einer bestimmten Sprache verbunden sind, wie z.B.
Gegenstände des einsprachigen Unterrichtes oder Situationen, die in der
betreffenden Sprache stattfanden, und die daher auch in dieser Sprache
am effektivsten besprochen werden können.
top

Im Gegensatz zum codeswitching erfüllt die Sprachmischung
keine Funktion innerhalb des Gespräches. Die häufigste Ursache ist die
in dem Moment stärkere Präsenz des Wortes in der anderen Sprache, weil
dieses zuerst erlernt wurde, oder weil es öfter verwendet wird.
Pol (4;0, griechisch-deutschsprachig): „Θέλεις Saft;“
(„Möchtest Du Saft?“)
Kos (5;6, griechischsprachig): „Τί;“ („Was?“)
Pol: „Θέλεις Saft;”
Kos: „Τί;“
Pol (ruft jetzt laut): „Θέλεις Saft! Saft! Πορτοκαλάδα!“
(„Möchtest Du Saft! Saft! (dann auf griechisch:) Saft!“)
Pol merkt offensichtlich zunächst nicht, dass sie ein für Kos
unverständliches Wort verwendet hat. Das Hinzufügen des griechischen
Wortes (übrigens nicht der korrekten Übersetzung für Saft, die
eigentlich „χυμός“ wäre. Ursache dafür könnte dieselbe sein, die zu der
Sprachmischung führte: Die häufigere Verwendung und stärkere Präsenz
des Wortes πορτοκαλάδα. Eine andere mögliche Erklärung ist, dass die
Sprachmischung überhaupt erst entsteht, weil Pol das griechische Wort
für Saft nicht kennt, sich aber korrekt ausdrücken möchte) kann ein
Zeichen dafür sein, dass ihr bewusst wurde, dass sie hier das
griechische, und nicht das deutsche Wort benutzen sollte. Es kann sich
aber auch um eine Doppelung handeln, bei der Pol, nachdem sie nicht
verstanden wird, das Wort Saft einfach in der anderen Sprache
wiederholt, ohne genau zu wissen, dass es sich bei dem Satz „Θέλεις
Saft“ um eine Vermischung der Sprachen handelt, und welches Wort zu
welcher Sprache gehört.
Diese Überlegungen führen zu einem sehr wichtigen Aspekt der
Sprachmischung im Vorschulalter: Kinder in diesem Alter können noch
nicht immer bewusst die einzelnen Sprachelemente der jeweils
zugehörigen Sprache zuordnen. Diese Sprachentwicklungsphase – sog.
„naive Sprachmischungen“ – durchlaufen die meisten mehrsprachig
aufwachsenden Kinder. Beobachtungen deuten darauf hin, dass
mehrsprachige Kinder zunächst von einem Sprachsystem und entsprechend
von einem großen, gemischten Wortschatz ausgehen. Dafür spricht u.a.,
dass sie sich zunächst kaum Äquivalente aneignen, sondern für die
meisten Dinge zunächst nur ein Wort in einer der beiden Sprachen
erwerben. Einige Beispiele für naive Sprachmischungen sind:
Mal (4;7): „Das ist eine Burg und das ist eine
βροχή (Regen).“
Pan (4;0): „Machst Du mir die τσάντα (Tasche) auf?“
Sof (5;5): „Θέλω να φτιάξω ένα Mädchen.“
(„Ich möchte ein Mädchen machen [hier: malen]“)
Die folgenden Zitate zeigen, dass die Kinder durchaus in der
Lage sind, das „eingemischte“ Wort durch eines der momentan
gesprochenen Sprache zu ersetzten, wenn sie einen entsprechenden Impuls
von außen erhalten und sich überdies oft bewusst um Einhaltung der
Sprachentrennung bemühen:
Pol (4;0): „Ich hab kein φαγητό!“
Joh: „Wie bitte?“
Pol: „Ich hab kein Essen!“
Stef (4;5): „Wir haben einen Kuchen gemacht.
Wie heißt griechisch αλεύρι (Mehl)? Nein, wie heißt deutsch αλεύρι?“
top

Interferenz bezeichnet die gegenseitige Beeinflussung der
unterschiedlichen Regeln der beiden Sprachen. Interferenzen können z.B.
auf lexikalischer Ebene auftreten, wobei die Ursache häufig das Bemühen
ist, in der momentan gesprochenen Sprache eine Entsprechung zu einem
Wort der anderen Sprache zu finden:
Mar (5;3) sagt über ein kaputtes Instrument:
„Das schmeißen wir.“ Ursache hierfür ist vermutlich der griechische
Ausdruck „Το πετάμε“, in dem keine Vorsilbe (weg) enthalten ist.
Ebenfalls Mar sagt: „Johanna, komm ein bisschen!“, was einer wörtlichen
Übersetzung von „Έλα λίγο!“ entspricht.
Ein Beispiel für grammatikalische Interferenz ist die
Verwendung des Fragepronomens „Warum“ als kausale Konjunktion „weil“,
die darauf zurückgeführt werden kann, dass im Griechischen das Wort
„γιατί“ sowohl als Fragepronomen, als auch als kausale Konjunktion
verwendet wird:
Sof (5;5): „Der hat die eine Backe ganz, ganz
dick.“
An: „Warum denn?“
Sof: „Warum der hat was im Mund.“
Mar (5;3): „Der macht die Zähne so.“
An: „Warum?“
Mar: „Warum... warum der will.“
Beispiele für Interferenzen auf syntaktischer Ebene sind:
Stef (4;5): „Johanna, die Mama ist schon
draußen?“:
Entspricht dem griechischen Satzbau: „Η μαμά είναι κιόλας έξω;“
Mar (5;3): „Johanna, komm ein bisschen!“:
Entspricht einer wörtlichen Übersetzung von griechisch „Έλα λίγο!“.
Es gibt jedoch zahlreiche Beispiele, in denen die gewählte
Syntax mit keiner der beiden Sprachen übereinstimmt:
Pol (4;0): „Das ist deins?“
anstatt deutsch: Ist das deins?
anstatt griechisch: Δικό σου είναι; =Deins ist das?
Chri (6;1): „Der Stefan kann auch [spielen]?“
anstatt deutsch: Kann der Stefan auch?
anstatt griechisch: Μπορεί και ο Στέφανος; = Kann auch der Stefan?
Es zeigt sich also, dass viele von der Norm der jeweiligen
Sprache abweichenden Äußerungen auf die Mehrsprachigkeit zurückgeführt
werden können, dass die Ursachen aber auch in anderen Bereichen der
Sprachentwicklung zu suchen sind.
Die Beispiele zu Sprachmischung, codeswitching und Interferenz
dokumentieren, dass die Sprachen nicht willkürlich vermischt oder
gewechselt werden. Sie sind vielmehr Ausdruck eines
sprachentwicklungsbedingten und eines kreativen Umgangs mehrsprachiger
Kinder mit ihren Sprachen – und als solche sollten sie auch
wahrgenommen werden. Die besondere, kritische Aufmerksamkeit, die der
Sprachentwicklung mehrsprachiger Kinder in Familie und Kindergarten
häufig zuteil wird, und die sich z.B. in einem übertriebenen Verbessern
von Fehlern äußert, trägt nicht dazu bei, dass
die Kinder ausgewogene, ihrer momentanen Sprachentwicklungsphase
entsprechende Umgangsformen mit ihrer Mehrsprachigkeit und dem daraus
entstehenden Sprachkontakt entwickeln.
Nur eine prozessorientierte und individuumszentrierte Sichtweise auf
die Sprachentwicklung mehrsprachiger Kinder ist dazu geeignet, den
vielfältigen, kreativen und individuell ganz unterschiedlichen
Umgangsformen mit Mehrsprachigkeit gerecht zu werden.
top
